Der Bundesrat hat gestern die Zusatzbotschaft zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer (MWST) verabschiedet. Wie bereits in der Botschaft vom Juni 2008 vorgesehen, sollen die heute geltenden drei Steuersätze durch einen Einheitssatz ersetzt und die Mehrheit der Steuerausnahmen abgeschafft werden.
Man darf - dies die Meinung des Autors - schon jetzt gespannt sein, wieviel dieser Botschaft die Beratungen im Parlament überleben wird und wie stringent dann eine allfällige Kompromissvorlage noch sein wird. Ebenfalls sehr interessant ist die doch etwas abenteuerlich begründete These, der Einheitssatz solle insbesondere der Bevölkerung mit geringem Einkommen zugute kommen.Idee der Botschaft - Einheitssatz von 6.2% und Aufhebung von Ausnahmen=Vereinfachung
Durch den Einheitssatz und die Aufhebung der meisten heute geltenden Steuerausnahmen soll die Mehrwertsteuer weiter vereinfacht werden. Mit dem vorgeschlagenen einheitlichen Steuersatz von 6,2 Prozent und der Abschaffung von 21 der heute geltenden 29 Steuerausnahmen sollen komplexe Abgrenzungsprobleme wegfallen. Die Botschaft berücksichtigt laut Bundesrat die von National- und Ständerat vorgenommenen, nicht unwesentlichen Änderungen im Rahmen der Beratungen zum ersten Teil der MWST-Reform.
«Verkaufs-Argumentation» des Bundesrates - Minderbelastungen sollen Mehrbelastungen aufwiegen
Im Folgenden die Argumentation des Bundesrates in seiner Medienmitteilung zur Veröffentlichung der Botschaft:
Zum Einheitssatz
- Ein einheitlicher Steuersatz stellt die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsbranchen und Interessengruppen sicher. Er führt auch zu mehr Transparenz. Durch den Einheitssatz entfallen die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Leistungen, die zum Normalsatz besteuert und solchen, die zum reduzierten Satz besteuert werden. Auch Unternehmen, die Leistungen derzeit mit zwei oder sogar drei Steuersätzen abrechnen müssen, profitieren vom Einheitssatz.
- Mit der Reform steigt zwar die Steuerbelastung auf Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken sowie in den Bereichen Kultur, Sport, Bildung, Beherbergung und Gesundheitswesen.
- Konsumenten profitieren dafür in anderen Bereichen von Steuerleichterungen. Dazu gehört zum Beispiel der öffentliche Verkehr. Weniger hoch wird die Belastung für den Konsumenten auch beim Kauf von Elektrogeräten, Autos, Möbeln, Kleidern, Benzin, Heizöl oder beim Restaurantbesuch.
- Der Bundesrat sieht gar eine Überkompensation: Die Ausgaben für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke belaufen sich heute gerade noch auf sieben Prozent der durchschnittlichen Haushaltsausgaben, während beispielsweise die Ausgaben für Verkehr und Kommunikation stetig zunehmen. Sie betragen mittlerweile 12 Prozent eines durchschnittlichen Haushaltsbudgets.
Zur Aufhebung von Ausnahmen
Durch die Aufhebung von 21 der insgesamt 29 Steuerausnahmen werden komplexe Abgrenzungsprobleme beseitigt. Ausnahmen bleiben dort bestehen, wo der administrative Aufwand entweder in keinem Verhältnis zum Ertrag steht oder wo eine korrekte Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage technisch nicht machbar ist. Dabei handelt es sich um die folgenden Ausnahmen:
- Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
- Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele
- Verkauf und Vermietung von Immobilien
- Urproduktion (Landwirtschaft, Forstwirtschaft u.ä.)
- Leistungen innerhalb des gleichen Gemeinwesens
Nicht gewinnstrebige, ehrenamtlich geführte Sport- oder Kulturvereine sowie gemeinnützige Institutionen sind von der Steuerpflicht befreit, solange sie nicht mehr als 300'000 Franken Einnahmen aus steuerbaren Leistungen im Jahr erzielen. Trotz Aufhebung der Steuerausnahmen wird die Zahl der abrechnungspflichtigen Vereine nicht zunehmen. Die Freiwilligenarbeit wird nicht erschwert.
Vereinfachung soll sich günstig auf Volkswirtschaft auswirken
Je einfacher die MWST ausgestaltet ist, desto günstiger wirkt sie sich auf die Volkswirtschaft aus. Gemäss Gutachten des Ökonomen Frank Bodmer lösen die Einführung eines MWST-Einheitssatzes und der Abbau der Ausnahmen langfristig ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus. Im Gutachten wird von einem Zuwachs von 0,3 bis 0,8 Prozent ausgegangen, was auf Basis der BIP-Werte des Jahres 2008 einer Zunahme von 1,6 bis 4,3 Milliarden Franken entspricht. Auch für das real verfügbaren Einkommen der Haushalte ergeben sich positive Auswirkungen. Es wird langfristig mit einem zusätzlichen Wachstum von 0,1 bis 0,7 Prozent gerechnet. Über alle Haushalte verteilt, entspricht dies einer Zunahme von 0,4 bis 2,5 Milliarden Franken. Im Durchschnitt würde ein Haushalt einen Einkommenszuwachs von 120 bis 750 Franken im Jahr erfahren. Kurzfristig stehen dem Zuwachs Zusatzbelastungen von durchschnittlich 70 Franken pro Jahr für die inländischen Haushalte entgegen. Für die Wirtschaft und für die Haushalte bringt der Einheitssatz aber auch kurzfristig betrachtet weniger Zusatzbelastung als die befristete Satzerhöhung der MWST zugunsten der IV, die durch Volk und Stände am 27. September 2009 beschlossen wurde.
Senkung der Taxe occulte soll Wettbewerbsnachteile entschärfen
Durch die Reform sinkt auch die Schattensteuer (Taxe occulte) aufgrund nicht abzugsfähiger Vorsteuern jährlich um rund 2,4 Milliarden Franken. Die Steuerbelastung wird transparenter und Wettbewerbsnachteile werden entschärft. Da mit dem Einheitssatz und der Aufhebung von Ausnahmen verzerrende und kostspielige Abgrenzungsprobleme verschwinden, können steuerpflichtige Unternehmen ihre Preise senken und den Absatz steigern. Laut einer Studie, die im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) durchgeführt wurde, können die administrativen Kosten der Wirtschaft gegenüber dem auf den 1. Januar 2010 in Kraft getretenen neuen Mehrwertsteuergesetz durch Einheitssatz und Aufhebung der Ausnahmen um weitere 11 Prozent reduziert werden. Für heute bereits steuerpflichtige Unternehmen ergibt sich sogar eine Reduktion bis 18 Prozent.Der Einheitssatz führt dazu, dass rund 285'000 der 330'000 steuerpflichtigen Unternehmen alle ihre Leistungen zu einem tieferen Steuersatz versteuern könnten. Andererseits führt die Aufhebung von Ausnahmen zu zusätzlichen steuerpflichtigen Betrieben, wovon der grosse Teil im Gesundheitssektor tätig ist. Maximal werden 30'000 Betriebe neu steuerpflichtig.
Einheitssatz soll unteren Einkommensschichten zugute kommen
Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass ein reduzierter Steuersatz verteilungspolitisch nicht sinnvoll ist und einer Giesskannensubvention gleichkommt. Von reduzierten Steuersätzen profitieren die oberen Einkommensschichten in absoluten Beträgen viel stärker. Für jeden Franken, um den die Steuerlast der untersten Einkommensklasse beispielsweise bei Käufen von Lebensmitteln und alkoholfreien Getränken verringert wird, wird gleichzeitig die Steuerlast der obersten Einkommensklasse um gut zwei Franken reduziert. Auch die unabhängige Eidgenössische Finanzkontrolle empfiehlt nach einer Untersuchung der Auswirkungen der MWST, politisch ungewollte Belastungswirkungen dieser Steuer nicht länger mit Steuervergünstigungen für Lebensmittel auszugleichen.Als zielgerichtete und effiziente Massnahme soll der reduzierte Satz durch das sozialpolitische Korrektiv abgelöst werden, das ausserhalb des Mehrwertsteuersystems steht und Haushalte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen um jährlich 355 Millionen Franken entlastet.
Trotz allem Mindereinnahmen erwartet, jedoch im Gegenzug administrative Erleichterungen
Auf die Höhe der MWST-Einnahmen soll der Einheitssatz keine Auswirkungen haben. Der aufkommensneutrale Satz beträgt aufgrund der neusten Zahlen 6,061 Prozent und unter Berücksichtigung der IV-Zusatzfinanzierung 6,379 Prozent. Nach mathematischen Grundsätzen wird er auf 6,1 Prozent bzw. 6,4 Prozent aufgerundet. Die Aufrundung von 6,379 Prozent auf 6,4 Prozent ergibt einen Einnahmenüberschuss von rund 70 Millionen Franken. Ergänzt um 0,1 Prozentpunkt zur Finanzierung des sozialpolitischen Korrektivs kommt der Einheitssatz schliesslich auf 6,5 Prozent zu liegen. Da wegen der administrativen Entlastung von Unternehmen aus dem Teil A der Reform aber Mindereinnahmen von 515 Millionen Franken entstanden bzw. noch zu erwarten sind, ergeben sich insgesamt jedoch deutliche Mindereinnahmen.Die Weiterführung der angegangenen Totalrevision ermöglicht auch einen Abbau des administrativen Aufwandes für den Bund: Während durch das neue Mehrwertsteuergesetz beim Bund ein Mehraufwand entstand, der rund 30 Vollzeitstellen entspricht, wird dieser Mehraufwand durch den Einheitssatz und die Aufhebung der Ausnahmen wieder aufgehoben und bei der ESTV können zusätzlich rund 30 Stellen eingespart werden.Die Kantone werden durch die Reform im Umfang von ca. 267 Millionen Franken durch zusätzliche Verbilligungen der Krankenkassenprämien und Subventionen belastet. Gleichzeitig profitieren sie von der Reform, weil sie durch den tieferen Steuersatz jährlich Steuern im Umfang von rund 155 Millionen Franken auf ihren Beschaffungen einsparen können. Die Gemeinden werden um ca. 145 Millionen Franken jährlich entlastet.